H: Eine Rede? Ich meine, es ist viel passiert in 30 Jahren.

K: Eine Rede. Die gehört immer dazu. Keine lange Rede.

H: Gut: 3 Minuten 30 Sekunden. Solange wie eben ein 30 Meter breites Schiff mit 30 Fuß Tiefgang braucht, um seine 30 Tausend Tonnen durch eine Schleuse zu bewegen. Oder so.

K: Pah, klingt nach Masse, Präzision, Schweiß und Schwerfälligkeit. Waren das die 30 Jahre? Also gut, wir versuchen das schneller und dynamischer. Damit uns der Schweiß nicht einholt, oder so. 30, 30. Was ist das, 30?

H: Die kleine sphenische Zahl, 2 mal 3 mal 5, Zink, das 30te Element, ein Rhombentriakontaeder, ein Körper mit 30 Flächen, Paragraph 30 das Steuergeheimnis, 30…

K: Ein Rhombentrikontaeder?! Weißt Du was? Ich hab schon wieder das Gefühl ich säße in der Aula, frühmorgens, und müsste irgend so eine Mathehausaufgabe, oder Physik, oder Chemie, bei Dir abschreiben. Also ich meinte einfach nur: 30 Jahre!

H: 1986 bis 2016.

K: 360 Monate.

H: Mehr als 30 Millionen Sekunden

K: Mindestens ein Studium, eine Ausbildung, – oder auch nicht. Ein halbes (oder auch schon ganzes?) Berufsleben. Karrieren, Ziele, Traumschöpfungen und Punktlandungen. Höhenflüge und Abstürze. Schichtdienst und Sportwagen (Bild ). Bodymaßindex und Zweithaarverpflanzung. Brille, Botox und Problemzonengymnastik. Großstadtgeflimmer und Almweideneinsamkeit. Ganz oben, womöglich auch mal ganz unten – und einige auch ganz weit draußen.

H: Um die ganze Welt: wir sind in China, Japan, Peru, Australien (meine ich?) und Österreich geschafft! 30 Länder werden‘s aber nicht.

K: Aber mehr als 30 Reisen. Wohl bei jedem. Manche Häuser. Standortwechsel. Ungezählte Sonnenaufgänge, ein paar -finsternisse. Ehen und Patchwork, oder Scheidungskrieg. Die eine und andere Schwiegermutter. Beziehungsdimensionen. Geburten und Kinderwindeln. Pubertäten und Weihnachtsfeiern. Wir irgendwo mitten in der weltgeworfenen Kredit- und Ratenzahlungslandschaft. Mitten im Leben und doch so nah an der Schulzeit. Wir reden womöglich schon über Generationen? Haben wir Großeltern unter uns? Eine Menge Zeit. Die Flucht nach vorne –  und heute den Blick zurück.

H: Die Zeit ist eine messbare physikalische Größe. Das Zeichen der Zeit ist t, ihre SI-Einheit ist die Sekunde s. Sie beschreibt die Abfolge von Ereignissen, hat also im Gegensatz zu anderen physikalischen Größen eine eindeutige, unumkehrbare Richtung.

K: Unumkehrbar. Hm, das mag physikalisch und biologisch so funktionieren. Im Geist tritt man aber schon öfters die Reise in die Vergangenheit an. Mit oder ohne Delorian. Dann malt der Pinsel der verklärenden, goldenen Erinnerung so manche Deutschstunde an den Horizont, – oder es heulen eben die Sirenen und Schatten und es wird mehr der Weg zur Tafel, und der Geruch von Kreide, beim Versuch eine Intervallschachtelung vor die Augen des Lehrers zu malen. Vokabeln, die auf ewig eingebrannt bleiben: Raum 210. Schokowaffeln  bei Hausmeister Mini. Menschliche Existenz verwirklicht sich im Entwerfen der Zukunft, im Behalten des Gewesenen und im Entspringenlassen der Gegenwart. Schon Thomas Mann ….

H: Halt stop, komm zurück!! Das ist mehr (!) als 30 Jahre her! 1986 – hat jeder von uns mit 94 Mitschülern das Abitur gemacht. Männlein und Weiblein. Raucher und Nichtraucher. Skatspieler, Schafkopfler, Schachspieler, Radler , Mopedfahrer, Autoprinzen, Ökos, Popper, Musiker, Weißbiertrinker und Fußballspieler. 1986 war das „Internationale Jahr des Friedens“. Tschernobyl platzte.

K: Beuys ist gestorben. Und Simone de Beauvoir. Dafür wurde Lady Gaga geboren.

H: Weizsäcker, Kohl, Gorbi und Reagen. Honnecker hatte noch ein paar Jahre. Das erste Modul der Raumstation MIR wird in den Weltraum geschossen, die Internet-Endung .de wird eingetragen. Der Fernseher war noch ein Leitmedium. Maradonna zauberte noch mit Hand und Fuß und die Theatergruppe war für einige von uns Kreativpool und Beziehungsschmiede.

K: Modern Talking und Chris Norman. Falko und Jeanny. Grönemeyer und David Bowie und Depeche Mode. 30 Jahre sind ein Haufen Zeit. Da passt ne Menge rein. Der Dreißigjährige Krieg, die Pest und halb Schweden. Spannend aber doch auch, und damit zurück in die Gegenwart, dass in den 30er Zonen in den Städten die Entschleunigung eintritt.

H: Goethe ist mit 30 Minister in Weimar: „Es weis kein Mensch was ich thue und mit wieviel Feinden ich kämpfe um das wenige hervorzubringen“. Seine Italienreise steht noch bevor.

K: Napoleon ist mit 30 gerade noch nicht Kaiser. Alexander der Grosse hat ein Weltreich erobert und ist irgendwo in Persien unterwegs. Marlin Monroe wechselt gerade in anspruchsvollere Rollen, aber 1986, 1986, fliegen viele von uns mit Robert Redford jenseits von Afrika, stöbern in alten Klostern mit dem Namen der Rose nach giftigen Mönchen, kämpfen mit Rocky IV (Bild ) den Kampf des Jahrhunderts oder sind mit Baby Schimmerlos in der Münchner Schickeria unterwegs.

H: Heute trinkt man statt Kir Royal eben „Hugo“ oder „Spritz“.Der Himmel über Afrika ist noch immer schön, Redford nicht mehr so ganz, Rocky hat die Handschuh an den Nagel gehängt und „schimmerlos“ sind noch heute viele /oder immer mehr?)  

K: Ok, das reicht. Mindestens 16 von uns haben den einen oder anderen Doktortitel (davon 7 Ärzte und Zahnärzte und 9 sind, ich zitiere hier eine mir zugegangene Notiz „sogar richtige Doktoren“, 2 gar „außerordentliche Professoren“.

H. Wir sind  Angestellte, Apotheker, Architekten, Ärzte, Astronom, Bankkaufmenschen, Chemiker, Kauffrau, Statistiker, -Physiker, Einkäufer, Elektroingenieure,

K: Journalisten, Fremdsprachenkorrespondent, Haus Frau  und Mann Hörgeräte-Akustiker, Hotelfachfrau, Kaufmann, Kunsthistoriker, Langstrecken-Kabinenchef,  Lehrer, Musiker, Pilot, Professor, Programmierer, Rechtsanwalt, Sekretärin, Sozial-pädagogin, Steuerberater, Unternehmer, Werbungtexter, Wirtschaftsingenieur und Zahnarzt.

H: Wir sind knapp 300 mal umgezogen.

K: Wir sind offenbar zumindest in Teilen ein recht dynamischer Haufen. Das Gute: wir werden immer mehr, – und noch nicht weniger. Eine Generation also im Unruhestand.

Danke!

[Rede zur Abifeier 2016 von Christian Gries und Hauke Fiedler]

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